Schweiz
Ü55 und gekündigt

Nach 40 Dienstjahren entlassen – und doch noch einen Job gefunden

Kurz vor der Pensionierung gekündigt, sagt Werner Boller: «Nach 40 Dienstjahren haben sie mich wie einen Müllsack vor die Türe gestellt»
Hat nach über 150 Bewerbungen einen neuen Job gefunden: Werner Boller. Bild: watson
Ü55 und gekündigt

Nach 40 Dienstjahren wurde er wie ein Müllsack vor die Türe gestellt – nun ein Happy End

Werner Boller* erzählte in der watson-Serie «Ü55 und gekündigt» von seinem Schicksal, wenige Jahre vor der Pensionierung arbeitslos zu werden. Nun hat es für ihn ein Happy End gegeben.
05.09.2025, 05:4105.09.2025, 10:38
Mehr «Schweiz»

40 Jahre war er loyal. Dann wurde Werner Boller gekündigt. Er war fast sein ganzes Berufsleben bei derselben Firma tätig – vom Telefonverkäufer bis zum Logistikchef. Und doch endete alles mit einer Kündigung kurz vor der Pensionierung.

Es folgten: Rechtsberatung, Taggelder, über 150 Bewerbungen und praktisch genauso viele Absagen. «Ich fühlte mich wie ein Müllsack, den man vor die Türe stellt», sagte Boller im watson-Interview Anfang Juli. Arbeitslos mit 63, und die Chancen auf eine neue Stelle verschwindend klein.

Nun gibt es für sein Berufsleben doch noch ein Happy End. Boller hat eine Festanstellung gefunden. Nicht als Chef, sondern als Frachtkurier am Flughafen Zürich. Zwar körperlich fordernd, aber mit Fixlohn. «Ich arbeite wieder. Das zählt. Und für einen Aviatik-Fan zum Abschluss seiner Berufskarriere genau das Richtige», freut er sich. Doch Werner Bollers Wiedereinstellung 1,5 Jahre vor seiner Pensionierung ist eher die Ausnahme.

Angebote für ältere Arbeitslose

Wer mit über 55 entlassen wird, findet nur schwer zurück in den Arbeitsmarkt. Die Gründe dafür sind vielseitig, wie Schicksale von Menschen zeigen, mit denen watson gesprochen hatte. Ab 55 steigen die BVG-Beiträge auf 18 Prozent – das macht ältere Arbeitnehmende für Firmen teuer. Dazu kommen die Angst vor Krankheit, das Stigma vom digitalen Rückstand und interne Weisungen, niemanden über 55 einzustellen.

Selbst das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) sagt: Die Jobsuche dauert im Alter länger, die Hürden sind höher. Wer also rausfliegt, bleibt oft weg vom Fenster. Und das, obwohl die entlassenen älteren Arbeitnehmer weiterarbeiten wollten.

Aus diesem Bedürfnis ist ein eigener Markt entstanden. Es gibt Plattformen, die sich explizit zum Ziel machen, ältere Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt einzuführen. So etwa die klassische Stellenbörse «50plus-jobs.ch» der Winterthurer Diversity Job Group, die acht verschiedene Stellenbörsen betreibt, unter anderem spezialisiert für Mütter, Väter, LGBTI-Personen oder Pflegejobs.

Für Arbeitgeber gibt es die Plattform «Focus50plus» des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes und Gewerbeverbandes, die Unternehmen beim Einsatz älterer Mitarbeitender unterstützt – mit Studien, Workshops und politischer Vernetzung. Keine klassische Stellenbörse oder Arbeitgeberinitiative stellt zudem die Plattform «SeniorsAtWork» dar.

Kein Match für Werner Boller

«SeniorsAtWork» verlangt von den Arbeitssuchenden selbst einen Beitrag – zwischen 89 und 225 Franken pro Jahr. Dafür können über 50-Jährige ihr Profil aufschalten und hoffen, von Unternehmen kontaktiert zu werden. Die Idee: Arbeitgebende und Arbeitnehmende sollen über KI-Matching zusammenfinden.

Über 85'000 Personen sind laut eigenen Angaben auf dem Matching-Portal registriert. Von pensionierten Führungskräften über Handwerker bis hin zu Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen sei alles dabei. Monatlich werden laut Betreiber rund 350 bis 400 Stellen ausgeschrieben, primär jedoch Teilzeit- oder Projektjobs, rund 25 Prozent seien Vollzeitstellen. «Durch KI-Vorschläge können Unternehmen auch ohne Jobausschreibung gezielt Kandidaten anschreiben», sagt Alexis Weil, Gründer der Plattform, zu watson.

Die Betreiber sehen sich als Brückenbauer, nicht als Vermittler. Sie tracken nicht, ob eine Anstellung wirklich zustande kommt. Zahlen zur Vermittlungsquote fehlen. Wie erfolgreich die Plattform älteren Arbeitssuchenden zu Wiedereinstellungen verhilft, ist nicht klar.

Auch Werner Boller hatte ein kostenpflichtiges Profil auf «SeniorsAtWork». Ihm habe es aber nichts gebracht. «Mich hat kein einziges Unternehmen angeschrieben», sagt er. Seinen neuen Job am Flughafen, den er nun gefunden habe, sei durch eine eigene Bewerbung entstanden. «Ich glaube, den Job habe ich nur gefunden, weil ich trotz 150 Bewerbungen nie aufgegeben habe – und ich wegen des RAVs auch nicht aufgeben durfte.»

Kurz vor der Pensionierung gekündigt, sagt Werner Boller: «Nach 40 Dienstjahren haben sie mich wie einen Müllsack vor die Türe gestellt»
Muss sich endlich nicht mehr den Kopf über Bewerbungen zerbrechen: Werner Boller. Bild: watson
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Rentner Claudio* hat mit 55 seinen Job verloren und nie mehr einen gefunden – so lebt er seither
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
161 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Joshzi
05.09.2025 05:57registriert September 2014
Was sagt das über den Arbeitsmarkt und uns aus, wenn wir die Wiedereinstellung eines Ü55 feiern, als wäre ein Wunder geschehen? Länger "arbeiten" würde aktuell wohl eher bedeuten, 10 Jahre im Sozialsystem darben zu müssen. Seit den 1980ern steigt die Produktivität stark an, aber anstatt die Gewinne daraus mit der arbeitenden Klasse zu teilen, wird sie ins Sozialsystem abgeschoben. Wer arbeitet, der soll nicht nur überleben, sondern auch am Wohlstand teilhaben.
38212
Melden
Zum Kommentar
avatar
Katerchen
05.09.2025 06:52registriert März 2023
Und genau deswegen ist eine Erhöhung des Rentenalters keine Lösung!
31412
Melden
Zum Kommentar
avatar
001243.3e08972a@apple
05.09.2025 06:58registriert Juli 2024
Der im Alter stark zunehmende Satz ist falsch, es muss früher etwas mehr einbezahlt werden können und vor allem muss das langfristige Kapital viel marktgerechter angelegt werden können.
1.25% Minimumverzinsung pro Jahr? Wtf?
Bei 3a Produkten - die ICH selbst auswählen kann und wo der Markt spielt erreiche ich locker 5% pro Jahr, in guten Jahren 10%.
In die 2.Säule muss endlich auch mehr Wettbewerb und weniger Absahnen durch die intransparente Pensionskassen-Firmenverschachtelungs Mafia.
Wieso hat zB meine ZwangsPK TellcoPro eine eigene Bank - bei Minimalverzinsung?
1428
Melden
Zum Kommentar
161
Zwei Unbekannte überfallen Geldtransporter in Renan BE
Zwei unbekannte Räuber haben am Donnerstag in Renan BE einen Geldtransporter überfallen. Sie bedrohten den Chauffeur mit einer Waffe und flüchteten mit Beute, wie die Kantonspolizei Bern am Samstag mitteilte. Der Chauffeur blieb unverletzt.
Zur Story